Leseteufel Deutsch

Mercier Pascal

    Perlmanns Schweigen

Goldmann (btb), 1997

Precht

Was für ein Meisterwerk! Dieser schwergewichtige Roman vereinigt alles in sich, was deutsche Literatur groß macht. Hier kann einer schreiben, benutzt die Sprache meisterhaft und verneigt sich gleichzeitig vor ihr als “humble servant”.

Das Sujet, Literaturprofessor auf Sinnsuche, ist deutsch bis ins Mark und die Ernsthaftigkeit und gleichzeitig unfreiwillige Komik wie ein Rühmann-Film. Also fast unerträglich für den Leser. Und mit all diesen Voraussetzungen ist Mercier ein Roman gelungen, der einen nicht loslässt. Schlaflose Nächte hat der Leseteufel damit zugebracht, sich für die Hauptfigur, den unglücklichen Philipp Perlman, Auswege aus seiner aussichtslosen Lage auszudenken. Gehadert hat er mit dem Protagonisten, gezweifelt, ob die Identifizierung mit ihm weiter gehen kann.

So stelle ich mir Literatur vor, die tatsächlich das Denken des Lesers verändert, seine Sicht vom Leben. Allerdings war der Leidensdruck zeitweise so groß, dass er kaum noch zu ertragen war. Wie bei Dostojewskis Raskolnikoff aus “Schuld und Sühne”.Die Handlung ist in wenigen Worten erzählt: Perlmann leitet ein fünf(!)-wöchiges Linguistik-Seminar mit angesehenen internationalen Kollegen in einem Nobelhotel an der ligurischen Küste. Alle bringen ihre “papers” mit, an denen sie noch feilen und arbeiten, ehe sie mit ihrem Vortrag dran sind. Nur Perlmann hat überhaupt nichts vorzuweisen. Er befindet sich, nach dem Tod seiner Frau, in einer Schaffens- und Sinnkrise. Statt an einem eigenen Papier zu arbeiten übersetzt er ein Thesenpapier Leskovs, eines russischen Kollegen, der im letzten Moment seine Teilnahme absagen musste. Perlmann steigert sich immer mehr in seine ausweglose Situation hinein, brüskiert laufend die anderen, indem er sich absondert, und will schließlich Leskovs Thesen als seine eigenen ausgeben.

Da kündigt ein Telegramm an, dass Leskov doch noch kommt. Jetzt eskalieren die äußere und innere Handlung.