Weite_Welt

Gospodinov Georgi

Physik der Schwermut

Droeschl, Wien 2014

Ernestam2

Georgi Gospodinov, Jg. 1968 ist in Bulgarien ein arrivierter Schriftsteller und Journalist. Schon sein erster Roman “Natürlicher Roman” war auch im Ausland erfolgreich. Die “Physik der Schwermut” verbindet alle Facetten des Erzählens und für Gospodinov damit des Erinnerns und besteht aus kurzen und kürzest Geschichten, die sich zu einem autobiografischen Erinnerungsprozess verbinden. Hervorragend übersetzt hat den Roman Alexander Sitzmann,

Gospodinov beklagt die Vergänglichkeit allen Lebens, das nur gegenwärtig bleibt, wenn es erinnert wird. Darin ist er nicht unähnlich der “Königin von Loana” von Umberto Eco. Eingefügte Schwarz-Weiß-Fotos helfen Gospodinov dabei, dem Leser eher weniger.

 Am faszinierendsten für den Leseteufel sind die Kapitel über die Kindheit des Protagonisten, als er sich in alle Personen hineinfühlen konnte und über diese intensive Empathie nicht nur ein “Ich” war, sondern so viele wie ihn umgebende Personen. Am stärksten beeindruckt hat ihn sein Großvater, dann die Mutter, die den Bruder einmal fast vergessen und damit allein gelassen hätte.

Da Gospodinov zwischen den Zeitebenen wechselt, sagt er zwischendrin: “Wollen wir hier auf die Seelen der zerstreuten Leser warten. Jemand könnte sich verlaufen haben in den Gängen dieser verschiedenen Zeiten. Sind alle aus dem Krieg zurückgekehrt?” (S. 49)

Als Student schenkt er seiner Freundin ein Kochbuch, da sie kaum genug zum Essen haben: “Wir schlugen das Buch ...auf und begannen langsam zu lesen, um jedes einzelne Wort zu schmecken. Wir fügten der in einer kleinen Backform geschmolzenen Butter  eine Tasse Honig hinzu....” (S. 125)

Lange begleitet der Leseteufel Gospodinov bei seinem Vexierspiel aus Erinnerung und Gegenwart, aber allmählich wird er müde, die Schwermut des Autors färbt alles zu grau.

Und für einen 47jährigen Mann in seinem besten Alter wirkt die Klage über erste graue Haare und Erschlaffung der Muskeln doch albern. Es zeigt sich wieder einmal, dass zur Schau gestellte Schwermut bei einem Autor eigentlich grenzenlosen Egoismus verdeckt. Und der Minotaurus als Sinnbild des in seinem Mensch- und Tiersein gefangenen Individuums ist nicht restlos überzeugend.