Weite_Welt

Dalos György

Balatonbrigade

Rotbuch EVA, Hamburg 2006

Ernestam2

Dieses schmale Bändchen, das sich bescheiden als “Erzählung” und nicht, wie viele andere großspurig als “Roman” bezeichnet, hat es in sich. Dalos, der in Ungarn selbst unter poltitischer Verfolgung und Bespitzelung litt, beschreibt hier den Zusammenbruch der DDR aus der Sicht des kleinen miesen Stasiagenten Joseph Klempner. Als Deutschungar in den 50igern ausgebürgert fand dieser seine Heimat über seinen väterlichen Freund und Agentenchef Major Frickhelm bei der Stasi, der er als treuer “Tschekist” (russische Bezeichnung für Geheimagent) unbeirrt dient.

Selbst seine Frau Roswitha, eine linientreue Lehrerin und IM, hat ihm die Firma zugeführt. Sein Leben verläuft in geregelten Bahnen, seine Aufgabe ist es, Berichte der Agenten aus den Urlaubsgebieten der “Bruderstaaten” auszuwerten. Zur Belohnung für seine 25jährige Mitarbeit soll er im Sommer 1988 für drei Monate die “Balatonbrigade” am gleichnamigen See übernehmen. Er freut sich sehr darauf, seine Heimat wiederzusehen.

Und schon beginnen seine Probleme. Seine 17jährige Tochter verliebt sich gegen den Widerstand des Vaters in einen Exilchilenen aus Westberlin. Pflichtgemäß erstattet er Frickhelm Bericht und muss nun seine eigene Tochter und deren der Konterrevolution verdächtigen Freund bespitzeln und darüber Berichte anfertigen. “Das Leben der anderen” von Donnersmarck kommt in den Sinn.

Klempner quält sich mit Schuldgefühlen, bringt seiner Tochter als Versöhnungsgeschenk einen kleinen Hund, Hugo, mit. Diesem Hund erzählt er im Rückblick seine Geschichte. Er ist der einzige, der ihm aus seiner Familie geblieben ist und der einzige, der ihm geduldig zuhört. Anfangs ist der Leser etwas unwillig über diese Konstellation, aber der arme, lahme, krebskranke Hund wird für Joseph so etwas wie ein Spiegelbild seiner eigenen Existenz. Und natürlich drängt sich “auf den Hund gekommen” auf.

Als Joseph am Balaton sieht, wie sich die Strukturen im Bruderstaat bereits in Auflösung befinden, Tausende von DDR-Bürgern überall kampieren und auf das große Ereignis warten, geschieht mit ihm ein kleines, kurzes Wunder. Eine junge Ungarin verliebt sich in den farblosen Joseph, der sich ihr gegenüber Ga´bor nennt. Immer noch stellt er seine kleine Agentenexistenz nicht in Frage, obwohl er von seinem Mitarbeiter jetzt selbst bespitzelt wird.

Als er wieder in Berlin zurück ist, muss er nicht nur den Zerfall seiner  beruflichen, sondern auch seiner privaten Existenz erleben. Seine ungeliebte Frau verlässt ihn, seine Tochter bricht jeden Kontakt mit ihm ab, als sie ihre Stasi-Akte mit seinen Berichten in die Hand bekommt. Ihm bleibt nur noch sein Hund. Dalos gelingt es meisterhaft, sich in die Gedankenwelt seines armseligen Protagonisten hineinzuversetzen. Wenn Joseph seine Agententätigkeit mit treuem, nie zweifelndem Augenaufschlag beschreibt, wirkt die unfreiwillige Komik entlarvender als jedes politische Statement. Ironie schwingt in jedem Satz mit, stellt unseren Helden des sozialistischen Alltags bloß.

Und Dalos hat gründlich recherchiert: Die Balatonbrigade gab es wirklich, mit all ihren IMs und nichtssagenden Berichten, die doch so viele Existenzen zerstört haben. Wahrscheinlich kann nur der Blick von außen das Groteske dieser Welt erkennen. Und obwohl Dalos seit langem in Berlin lebt, ist ihm dieser unbestechliche Blick erhalten geblieben. Und anders als das weinerliche “Geboren am 13. August” von Jens Bisky ist die “Balatonbrigade” auch sprachlich ein Meisterwerk.