Weite_Welt

Oksanen Sofi

Fegefeuer

btb Random House München, 2012

Ernestam2

Als dieses Buch der finnischen Autorin 2008 erschien, war sie gerade mal 31 Jahre alt. Trotzdem überfällt sie den Leser geradezu mit grauenvollen Ereignissen in Estland seit der kurzen Unabhängigkeitsphase 1936.

Ihre Schreibweise bezeichnet sie selbst als “Autofiktion”, was sie als Mischung zwischen autobiografischen Geschichten und Belletristik definiert und mit großem Selbstbewusstsein zelebriert.

Der Leseteufel reagiert skeptisch. Als Gewährsfrau dient die russisch-estnische alte Aliide Tru und deren Schwester Ingel, an die sich die junge Zara so gut erinnert, dass sie die Abläufe in einem estnischen Bauernhaus bis in die Speisekammer und den Dachboden kennt und vor allem die Gedanken der Hauptfigur Aliide. Zara hat sich zu ihr, der Schwester ihrer Großmutter geflüchtet und sucht dort Unterschlupf vor ihren Verfolgern und Zuhältern, die sie, wie sich allmählich herausstellt, brutalst gequält haben.

Das ist die Handlung auf der Zeitebene der frühen 90iger Jahre, dazu kommen alle anderen wichtigen Epochen in der Geschichte Estlands, besonders die der russischen Okkupation, die wiederum mit hinreichend ekligen Gewaltexzessen bestückt werden.

Aber da ist keine Hilfe: Oksanen hat mit keiner ihrer fiktiven Gestalten auch nur einen Funken Mitgefühl, was dazu führt, dass sie alle Gefühle wie Angst, Abscheu oder Scham doppelt und dreifach verstärkt darstellen muss, um den zu Grunde liegenden Mangel an Empathie auszugleichen. Am Schluss krönt sie ihr Werk durch fiktive Protokolle des sowjetischen Spions in der Familie. Ähnlich wie bei Anya Ulinich “Petropolis” wäre weniger eindeutig mehr gewesen.