Weite_Welt

Mishani Dror

Vermisst

Zsolnay, Wien 2013

Ernestam2

Dies ist der Erstling eines israelischen Literaturprofessors mit Schwerpunkt “Geschichte der Kriminalliteratur”. Und sein Held Avi Avraham von der Kriminalpolizei in Cholon in der Nähe von Tel Aviv ist ebenfalls ein Kenner der internationalen Krimiszene. Er behauptet, er könne in jedem Krimi Ermittlungsfehler nachweisen. Eine andere These Avis ist, dass es deshalb keine eigenständige Krimiliteratur in Israel gebe, weil Morde fast immer von nächsten Verwandten begangen würden.

Im aktuellen Fall, dem Verschwinden des 16-jährigen Ofer, tappt Avi aber völlig im Dunkel, so dass ihm schließlich ein karrierebewusster Kollege zur Seite gestellt wird, der mehr Schwung in die Ermittlungen bringen soll. Avi stößt bei seinen eigensinnigen Nachforschungen auf den Nachbarn von Ofers Familie, den jungen Lehrer Seev, der Ofer Nachhilfeunterricht gegeben hat und eine eigene, geheime Agenda verfolgt, er will nämlich Schriftsteller werden.

Der Roman lässt sich recht schwerfällig an, vielleicht auch durch die etwas umständliche Übersetzung. Die Handlung wird abwechselnd aus Avis und Seevs Standpunkt erzählt, hauptsächlich erfährt der Leser, was sich in den Köpfen der beiden abspielt. Avi wird auf Fortbildung nach Brüssel geschickt, wo er eine dortige Kollegin namens Marianka kennen lernt. Alles ohne augenscheinlichen Bezug zum eigentlichen Fall Ofer, der auf der Stelle tritt.

Schließlich löst sich mit Hilfe Seevs das Rätsel um Ofers Verschwinden und die Lösung überrascht Avi und den Leseteufel, der sich bis dahin tapfer durchgequält hat. Aber auch diese Lösung stellt sich als fragwürdig heraus. Marianka, die Avi in Cholon besucht, sieht den Fall nochmals anders und so bleibt der Leser verwirrt und ein wenig beschämt zurück, weil er an die doch recht einfach gestrickten Lösungsmuster geglaubt hat.

Und Mishani erweist sich, vom Schluss her gesehen, als Meister im kriminalistischen Spiegelkabinett. Unbedingt lesenswert, auch deshalb, weil mit keinem Wort die Judenfrage oder der Holocaust erwähnt werden.