Weite_Welt

Lemaitre Pierre

Opfer

Cotta/Tropen, Stuttgart 2018

Ernestam2

Wenn dem Klappentext zu trauen ist, dann hat der Franzose Lemaitre (Jg.1951) schon mehrere preisgekrönte Romane und Krimis geschrieben.

Die literarischen Ambitionen will er auch gar nicht verbergen, im Gegenteil. Er ergeht sich in additiven Schilderungen der Gefühle seiner Protagonisten, ein Wort oder Satz ist ihm nie genug. Im Mittelpunkt der Handlung steht der Ermittler Camille Verhoeven, ein gut 1,50m großer Witwer von 45 Jahren und offensichtlich bisher beruflich erfolgreich. Ihm gegenüber der Ich-Erzähler und Verbrecher, dem Camille auf der Spur ist.

Anlass ist ein Raubüberfall auf ein Pariser Juweliergeschäft, bei dem eine Zeugin brutal zusammengeschlagen wird. Lemaitre lässt sich die Schilderung ihrer grauenhaften Verletzungen so richtig auf der Zunge zergehen. Wie schön für einen ambitionierten Autor, das Leiden einer Frau so darstellen zu können. Dieser sadistische Grundzug prägt auch die Schilderung weiterer Verbrechen in diesem Zusammenhang.

Natürlich liegt Camille mit seinem polizeilichen Establishment über Kreuz, denn die zusammengeschlagene Zeugin ist seine Geliebte Anne. Er reißt die Ermittlungen an sich und löst die verwickelte Geschichte im Alleingang, nur um dann Abschied von seiner Polizeikarriere zu nehmen

Lemaitre hat natürlich auch einen gesellschaftskritischen Impetus: “Camille liest den Vornamen, der auf ihrem Namensschild steht: Cynthia. Mit Fernsehserien vollgestopfte Eltern” (S. 102)

Ich kann mir vorstellen, dass der Übersetzer Tobias Scheffel seine liebe Not mit dem überbordenden O-Ton Lemaitres hatte.