Englischsprachige Literatur

Blackbourn David

Die Eroberung der Natur

DVA, München 2007

Galbraith3

Im Untertitel heißt dieses knapp 600 Seiten umfassende Werk “Eine Geschichte der Deutschen Landschaft”, und es ist schon erstaunlich, dass es eines amerikanischen Harvard-Historikers bedarf, um sie zu verfassen. Dabei bin ich sicher, dass deutsche Historiker en masse sich mit dem Thema beschäftigt haben, Blackbourn verweist in seinem fast 150 Seiten umfassenden Anhang auch auf sie; aber in einzigartig angelsächsischer Weise kann Blackbourn sein Wissen auch für den Laien anschaulich, ja geradezu spannend darstellen.

Sein wissenschaftlicher Schwerpunkt ist die Geschichte Deutschlands im 19. Jahrhundert. Sein persönlicher Schwerpunkt ist der Oderbruch, den er wohl selbst erwandert hat.

So beginnt er mit der “Eroberung der Wildnis” durch Friedrich den Großen im Preußen des 18. Jahrhunderts, als dieser nicht nur die Odersümpfe, sondern viele andere Sumpfgebiete seines Herrschaftsbereichs trockenlegen und besiedeln ließ. Schon hier achtet Blackbourn darauf, Vor- und Nachteile dieser Bändigung der Natur darzustellen, wobei selbst militanteste Umweltschützer das “Zurück zur Natur” sicher nicht so verstehen wollten, dass mit den Sümpfen auch die Malaria wieder Einzug halten sollte.

Das zweite große Kapitel befasst sich mit Tulla als “Bändiger des Rheins” im 19. Jahrhundert. Das Umschlagbild zeigt den Fluss vor seiner Regulierung, als er zweimal im Jahr das Land überflutete und immer neue Wege fand, so dass er oft eine Breite von 120km hatte. Blackbourn ist fasziniert von der Kunst deutscher (und holländischer) Ingenieure, und auch von der politischen Leistung, die darin bestand, alle Anliegerstaaten einzubinden.

Die Trockenlegung des Geländes am Jadebusen für das ehrgeizige Projekt eines Marinehafens für Preußen in Gestalt von Wilhelmshafen ist der dritte Schwerpunkt, zugleich mit der Kolonisierung der Sumpfgebiete Oldenburgs und Ostfrieslands.

Dann geht es um das “weiße Gold”, das durch Staudämme gewonnen wurde. Auch hier kann Blackbourn seine Bewunderung für deutsche Ingenieurskunst nicht verhehlen, wenn er vergleicht mit drei amerikanischen Staudämmen, die innerhalb kürzester Zeit brachen, während in Deutschland erst die eigens zu diesem Zweck gebauten Bomben der Alliierten es schafften, Eder- und Möhnetalsperre zu zerstören.

Die Kolonisationspolitik der Nationalsozialisten im Dritten Reich stellt den letzten Schwerpunkt dar. Wie das “Volk ohne Raum”  “blühende Gärten” im eroberten Osten schaffen wollte, “befreit” von Juden und Slawen, ist beklemmend. Hier, wie auch im weiteren Verlauf von Blackbourns Darstellung der Entwicklung im 20. Jahrhundert ist zu spüren, dass dieser Epoche nicht eigentlich sein Interesse gilt.

Der Leseteufel fragt sich schon, warum im Geschichtsunterricht der Gesichtspunkt der technischen Eroberungen nie Thema war, obwohl diese Geschichte unendlich viel spannender ist. Die Parallelen zur gegenwärtigen Diskussion um die Energiepolitik drängen sich geradezu auf.